Die Stimme des Kunden – Richtschnur oder Trugschluss?

Viele Unternehmen sind zu Recht stolz auf ihre „Customer First“ Strategie: immer zuerst der Kunde. So entstehen wichtige Neuheiten: die „Stimme des Kunden“ wird von Experten analysiert und in Produkt- oder Dienstleistungsideen übersetzt. Diese werden an zuständiger Stelle auf Markt- und Strategietauglichkeit geprüft.

Die „Ausbeute“ dieses Prozesses ist jedoch so gering, dass Tony Ulwick sagt: (externer Link auf Youtube) „Your idea is worth nothing“ – Ihre Idee ist (letztlich) nichts wert. „Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, sie hatten sich ein schnelleres Pferd gewünscht“, so Henry Ford. Oder Kodak: 1975 meldete das Unternehmen die ersten Patente für digitale Fotografie an, ließ sie aber unbeachtet. Warum? Die besten Kunden waren an höchster Qualität und höchster Auflösung interessiert. Daher auch die Warnung von Steve Jobs: „oft wissen
Menschen nicht, was sie wollen“. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Anthropologen wissen es seit langem: wir müssen uns mit Menschen in deren Begriffen und nicht in unseren auseinander setzen. Übertragen auf unsere Frage: die „Stimme des Kunden“ zwingt Menschen die Begriffswelt unserer aktuellen Lösung auf: „wie gut ist mein Pferd?“ Wie aber kommen Unternehmen an die zugrunde liegenden Probleme
heran?

Harvard Professor Theodore Levitt (1925-2006) sagte: „Menschen wollen keinen Zehnerbohrer. Sie wollen ein Zehnerloch“. Menschen „heuern eine Lösung an“, hier den Bohrer, um eine Aufgabe (englisch: Job to be Done) zu erledigen, nämlich ein Loch zu
machen. So die simple aber bahnbrechende (externer LinkEntdeckung von Clay Christensen. Osram „erleuchtet den Raum“, Nokia „verbindet Menschen“. Diese Aufgaben bleiben unverändert, lediglich die Lösungen ändern sich: Feuer, Kerze, Glühbirne, LED, vielleicht bald leuchtende Tapete, … oder Rauchzeichen, ein mongolischer Reiterkurier, Brief, Email, Handy, Facebook, möglicherweise irgendwann auch wieder einmal das persönliche Gespräch…

Sollten wir also aufhören, die „Stimmen der Kunden“ zu sammeln und auszuwerten? Bestimmt nicht! Wir müssen nur sehr genau verstehen, was wir dabei tun: wir bleiben in aller Regel „inside the box“ der aktuell verfügbaren oder denkbaren Lösungen. Nicht
dass es dort keinen Durchbruch gäbe (externer Link): „Breakthrough Thinking from Inside the Box“. Viele bahnbrechenden Neuerungen („disruptive innovations“) entspringen jedoch den unausgesprochenen Kundenbedürfnissen. An die werden Sie in aller Regel nicht über Befragungen sondern eher über (oft weitaus aufwändigere) Beobachtungen herankommen. Konzepte aus dem Werkzeugkoffer der Innovation wie „Job to be Done“ sind dabei sehr hilfreich.