Da war es wieder: das Gleichheitszeichen zwischen „innovativ“, „kreativ“ und „gut“. Bezogen auf Individuen übrigens. Und verknüpft mit einer „1-9-90-Regel“: 1% der Menschen sei „wirklich innovativ“, 9% „machen mit“ und 90% müsse man „irgendwie rumkriegen“. Das alles übrigens auf Trainingsfolien eines Unternehmens, das „Innovation“ weltweit ausrollen möchte.
Ich glaube das nicht. Mein Menschenbild und meine Erfahrungen sind andere. Aber nehmen wir einmal an, es wäre tatsächlich so, dass es „die Innovativen“ und „die nicht so Innovativen“ und gleichbedeutend die „Guten“ und die „nicht so Guten“ tatsächlich gäbe.
Sie wollen jetzt Ihr Unternehmen so richtig begeistern für Innovation. Deshalb das Training. Da zählen die 90% sicher auch dazu – selbst wenn Sie die später bei der Umsetzung nicht brauchen: „mit im Boot“ sein sollten sie – richtig? Jetzt können Sie zwei Fehler machen:
Entweder, Sie halten Menschen, die gar nicht kreativ sind, für kreativ und glauben fälschlicherweise, Sie müssten sich einfach nur mehr ins Zeug legen, sodass diese ihre Kreativität auch zeigen und anwenden. Das wäre natürlich vergebliche Liebesmüh und schade um Ihre Arbeit.
Oder aber, Sie glauben bei jedem Individuum, das Ihnen vor die Nase kommt, dass Sie ohnehin eine 90%-Chance haben, es mit einem nicht-so-innovativem—nicht-so-kreativem—nicht-so-guten Menschen zu tun zu haben. Und Sie lassen diesen Menschen deshalb tendenziell eher etwas zu früh links liegen.
Welcher Fehler ist schlimmer? Das ist eine bewertende Frage. Sie haben Ihre Kriterien und ich die meinen. Meine Wahl ist schon lange getroffen. Die Annahme, die zu dieser Wahl führt, halte ich zudem für falsch.
Mein Kunde berief sich bei seinen (von einem anderen Berater stammenden) Folien übrigens auf Clay Christensen’s „The Innovator’s DNA“. Das Buch liegt jetzt vor mir. Der Untertitel lautet: „Mastering the five skills of disruptive innovators“. Kein Mensch wird so geboren – und da ist der Titel womöglich etwas irreführend gewählt. Es geht vielmehr um Fertigkeiten (skills), die erlernbar sind – bis hin zum „Meisterbrief“. Und es gibt ganz offensichtlich auch noch andere Arten, „innovativ“ oder „kreativ“ zu sein, als gleich mit der „Armageddon-Neuheit“ an den Markt zu treten. „Breakthrough Thinking from Inside the Box“ (externer Link) – schon gehört?
Nein, in diesem Tonfall sage ich es meinem Kunden natürlich nicht. Ich werde schon die richtigen Worte finden. Aber hier mein Mantra:
1) Alle Menschen sind kreativ – und zwar auf ihre eigene Art und Weise. Es ist unser Problem, und nicht deren, wenn wir an diese Kreativität nicht herankommen.
2) Vielen wird die ihnen völlig eigene Kreativität über unsere Bildungs- und Führungsstrukturen von früh auf systematisch ausgetrieben.
3) Der von dem Psychologen (externer Link) Albert Bandura entwickelte Ansatz der (externer Link) „Guided Mastery“ hilft auch bei einer in diesem Zusammenhang nur zu verständlichen „Phobie“ vor allem, was nach „Innovation“ klingt. Über „Guided Mastery“ kann Jeder und Jede – und jedes Unternehmen – gut darin werden, neue Ideen oder Lösungsansätze zu finden.
Zu diesem dritten Punkt demnächst mehr…