Alles gut
Mit der Vision, das ist so eine Sache.
Im Laufe der letzten 15 Monate habe ich ca. 30 Fabrik- und etwa 50 Produktleitern geholfen, ihre „Vision“ für die Zukunft aufzustellen. Diese Erfahrungen sind in einen vorherigen Blogeintrag und in ein (externer Link) Webinar geflossen. Die dort vorgestellten Ansätze funktionieren. Wir haben sie immer wieder mit Erfolg eingesetzt.
Dennoch möchte ich einen Rückzieher machen: „Vision – 4get it!“
Vergessen Sie die Sache mit der Unternehmensvision.
Alle Modelle sind falsch – manche sind jedoch nützlich
In Workshops können Sie mit Engelszungen predigen, worauf es ankommt bei einer guten Vision. Was Ihnen schließlich vorgelegt wird ist dennoch fast ausschließlich auf der Ebene: „Mehr X“ (X = Umsatz, Gewinn, Marktanteil, …) „durch mehr Y“ (Y = Kundenzufriedenheit, Zuverlässigkeit, Diversifizierung, …) bei ebenfalls steigendem Z (Z = Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit, Mitarbeiter- und Lieferantenzufriedenheit). Klingt toll und ist toll, keine Frage. Aber kaum eingerahmt und in der Eingangshalle
aufgehängt, gehen die Probleme erst richtig los: Was heißt das jetzt konkret?
Und wie sollen wir das alles erreichen?
Um meine bisherigen Kunden nicht zu beunruhigen: Sie haben alles richtig gemacht. Die oben zitierten und von uns verwendeten Methoden haben uns auf den richtigen Pfad gebracht. Ich glaube allerdings inzwischen, dass wir es uns hätten einfacher machen können. Um es einmal aus Sicht des Physikers zu formulieren, der ich letztlich immer noch bin: alle Modelle sind falsch, manche Modelle sind aber nützlich. In dem Sinne glaube ich inzwischen, dass es nützlichere Methoden als die Erstellung einer Unternehmensvision gibt.
Γνῶθι σαυτόν anstatt der Vision
Mit der Nase darauf gestoßen worden bin ich durch meine Arbeit mit (externer Link) LEGO® SERIOUS PLAY®. Man ist dort sehr genau mit Begrifflichkeiten – eine wesentliche Voraussetzung für die Schärfe des Denkens. Mit LEGO-Steinchen bauen Sie keine „Vision“. Sie bauen eine „aspirational identity“, Ihre „angestrebte Identität“: wer möchten Sie, also Ihre Organisation, später einmal sein? Vorher sollten Sie auch ein Modell
Ihrer aktuellen Identität bauen: wer sind Sie heute? So können Sie auch Ihre Strategie ableiten, wie Sie von hier nach dort kommen. Das mit der Identität ist natürlich „uralter
Kaffee“ und kommt aus dem „Alten Griechenland“: Γνῶθι σαυτόν, erkenne dich selbst, mahnte die vielzitierte Inschrift auf dem Apollo-Tempel in Delphi.
Aktuelle Identität eines Teams für kontinuierliche Verbesserung: Vielfalt in Charakteren und Erfahrungen; einer hat eine Idee – doch die anderen starren weiter auf das Problem. In der Außenansicht wendet das Team „uralt-Methoden“ an (siehe Spinnennetz).
Meiner Ansicht nach wirft das Spannungsfeld zwischen angestrebter und aktueller Identität viel bessere Fragen auf als der Versuch, eine Vision zu entwerfen: Ihre Vision ist „Grönland“? – Oder vielleicht besser doch nicht, wenn sich herausstellt, dass Sie ein Tiger sind? Sie müssten als eingemummeltes, behäbiges und von Eisbären verlachtes Wesen herumlaufen, um dem ewigen Eis trotzen zu können…
„Wer bin ich heute? – Wer will und wer kann ich sein?“, das sind die spannenden Fragen. Teams, die nach ihrer Vision suchen, müssen auf diese Fragen zusätzlich hingewiesen werden. Inzwischen denke ich: besser anstatt.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Formulierung der Unternehmensvision ist, dass viele Teams der Versuchung erliegen, sofort über Unternehmensziele nachdenken: wir wollen X, Y und Z erreichen (siehe oben). Diese Ziele ergeben sich allerdings aus der angestrebten Identität – und nicht umgekehrt. Fall Sie mit (externer Link) Hoshin Kanri vertraut sind: die Vision ist „ein ansprechendes, detailliertes Bild der Zukunft“. Die „bahnbrechenden Ziele“ (breakthrough objectives) leiten sich aus diesem Bild ab (und auch hier: nicht
umgekehrt).
Wer werden Sie sein auf Grönland, sodass all dies sich auch einstellt? Wer müssen Sie sein, sodass Ihre Kunden Ihnen all dieses viele Geld geben – und wer, sodass Ihre Konkurrenz Ihnen – zähneknirschend oder nicht – diese großartige Marge überlässt?
Beschreiben Sie, wer Sie sind. Beschreiben Sie dann, wer Sie in Zukunft sein können und sein wollen. Leiten Sie daraus ab, wie Sie von hier nach dort kommen und welche greifbaren Geschäftsergebnisse sich daraus ergeben werden. Das funktioniert – besser als „die Sache mit der Vision“.