Patentstark wirtschaften – wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

Warum Du diesen Beitrag lesen solltest

Wir machen uns Sorgen darum, wie wir in Zukunft hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland halten können. Angesichts von steigenden Energiekosten, Lieferkettenproblemen, der demographischen Entwicklung und dem damit einhergehendem Fach- und Führungskräftemangel ist ein Thema etwas ins Hintertreffen geraten: unsere „Erfolgsrezepte“. Intellektuelles Eigentum ist ein wesentlicher Baustein für die Zukunft.

In diesem Beitrag betrachte ich vor allem das Thema „Patente“, und das im internationalen Vergleich. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass Daten frei verfügbar sind. Wusstest Du das? Nutzt Du diese? Auch wenn es sich bei Patenten um die „sichtbare Spitze eines Eisberges“ handelt, können wir aus Patentdaten interessante Einsichten und einige Handlungsempfehlungen ableiten.

Intellektuelles Eigentum als Erfolgsfaktor für die Zukunft

In einem vorherigen Beitrag habe ich beschrieben, wie Du Daten zu weltweit veröffentlichten Patenten beschaffen und visualisieren kannst. Wir hatten auch gesehen, dass in Asien ein immer größerer Anteil des weltweiten intellektuellen Eigentums erzeugt wird.

Verpassen wir hier den Anschluss?

Heute wollen wir zunächst fragen, welche Länder die meisten Patente pro Kopf der Bevölkerung veröffentlichen. Das ist ein Blickwinkel, den ich aus den Gesprächen der letzten Wochen mitgenommen habe.

Wir schauen uns die Lage zunächst „statisch“ an und wählen dafür einige Jahre aus:

Deutschland steht im Jahr 2020 immerhin auf Platz 4, allerdings mit ca. sieben mal weniger Patenten pro Kopf der Bevölkerung als Korea.

In Sachen Patenten zieht Korea „mit Siebenmeilenstiefel“ an uns vorbei.

Auch China legt in den 2010er Jahren eine beeindruckende Aufholjagd hin, erkennbar im folgenden „Film“. Du könntest einwerfen, deutsche Patente seien besser. Sicher?

Die schleichende Gefahr für Unternehmertum: ungenügende Absicherung des intellektuellen Eigentums

So kommen wir in meinen Gesprächen auf einen weiteren Einwand:

Beim Geschäftserfolg geht es nicht nur um Patente.

Das stimmt. Gehe aber bei nächster Gelegenheit einmal über eine Industriemesse und wähle einen Stand aus, um zu fragen: Wie in aller Welt dieser kleine Biegeradius in hoher Stückzahl fehlersicher hergestellt werden kann? Welche Toleranzen dafür gebraucht werden? Und welche Anforderungen an die umgebende Spritzgussmasse gestellt werden müssen? Man wird Dich nur mit der Kneifzange anfassen…

Am Frankfurter Flughafen, Terminal 1, unten bei den Autovermietungen, habe ich ca. im Jahr 2013 in der McDonalds Küche einmal einen riesengroßen Salzstreuer für Pommes gesehen – ganz offensichtlich clever abgeguckt von der Mutter Natur und der Mohnblume. Ich habe mich mit einer Telekamera auf die Lauer gelegt und ein Foto für meine Innovationstrainings gemacht – und musste kurz darauf das Bild unter Aufsicht einer hinzugerufenen Sicherheitsfachkraft wieder löschen…

Nicht alles wird patentiert. Das Patent auf den Salzstreuer habe ich damals nicht gefunden. Das für Coca Cola wäre längst abgelaufen, wenn sie ihr Rezept patentiert hätten. Open AI legt seine Algorithmen auch nicht im Schaufenster aus und Coco Chanel meldet ebenfalls keine Patente auf Düfte an. Viele Fertigungsprozesse in der Automobil-, chemischen, Lebensmittel- und Pharmaindustrie unterliegen „einfach nur“ der Geheimhaltung. So wie auch die Designmethoden bei Inditex und anderen Modehäusern.

Patente stellen die sichtbare „Spitze eines Eisberges“ dar.

Und weil sie sichtbar sind, lassen sie sich gut einsetzen. Du kannst sie verkaufen, lizensieren. Du hast für 20 Jahre ein Monopol auf Deine tolle Idee. Selbst wenn Deine Firma pleite geht, können ihre Patente immer noch viel wert sein. Ein Land, in dem viele Patente angemeldet werden, zieht internationale Unternehmen an, kann das eigene „intellektuelle Eigentum“ einsetzen, um neues zu produzieren, stellt seine Schaffenskraft unter Beweis.

Patente als „Wegweiser“ in die Zukunft

Gespräche und Recherchen der letzten Wochen fördern – auch im Vergleich mit Korea – einige Erfolgsfaktoren zutage, die Deutschland mittel- und langfristig helfen können:

  • Investitionen in Forschung und Entwicklung: Südkorea hat ganz offensichtlich in den letzten Jahrzehnten erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung getätigt. Dies schließt öffentliche und private Investitionen in Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen ein. Ziel dieser Investitionen war und ist es, das technologische Know-how des Landes zu stärken und Innovationen zu fördern.
  • Bildungssystem: Das koreanische Bildungssystem scheint einen Schwerpunkt auf Wissenschaft und Technik zu legen. So „produziert“ es hochqualifizierte Absolventen in den Bereichen Ingenieurwissenschaften, Informatik und anderen technischen Disziplinen, die in der Lage sind, innovative Technologien zu entwickeln und zu patentieren. In einem zukünftigen Blogbeitrag könnten wir uns einmal PISA-Studien und speziell die MINT-Fächer anschauen.
  • Regierungsprogramme und -initiativen: Die koreanische Regierung hat verschiedene Programme und Initiativen zur Förderung von Forschung und Innovation ins Leben gerufen. Das tut auch Deutschland und jedes OECD-Land: finanzielle Unterstützung, Steuervergünstigungen, Anreize für Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Vielleicht können wir uns dennoch das eine oder andere aus Korea abgucken?
  • Kulturelle Faktoren: Hier tue ich mich am schwersten. Aber es heißt, die koreanische Kultur fördere harte Arbeit, Wettbewerb, Ehrgeiz und den Drang nach Exzellenz. Zumindest einige sagen, dass auch dies dazu beitrage, dass viele Menschen in Korea motiviert seien, in technologischen Bereichen erfolgreich zu sein – und so eben auch Patente schreiben und veröffentlichen.

Soviel zu dem, was „die Regierung“ tun könnte. Auch Dein Unternehmen kann eigene Schwerpunkte setzen, zum Beispiel:

  • Systematische Innovationskultur: In den 2015er Jahren habe ich mit amerikanischen Kollegen Entwicklungen auf LinkedIn verfolgt. Wir haben gesehen, wie einige (v.a. russische) TRIZ-Experten (Theorie der erfinderischen Problemlösung) zu Samsung gewechselt sind und in der Folge deren Patentportfolios erweitert haben. TRIZ-Konferenzen waren und sind koreanische Vertreter jedenfalls sehr kompetent vertreten. Dank KI erwarten viele ein Wiederaufblühen von Methoden wie TRIZ, auch in Verbindung mit Design Thinking und „Outcome-Driven Innovation“. Wie geht Ihr hier vor?
  • Innovations-Portfolio-Management: Habt Ihr einen systematischen Innovationsprozess, vom Markt her gesteuert, der ständig Entwicklungen beobachtet, Chancen daraus ableitet, diese in Prototypen verwandelt, Prototypen in Produkte übersetzt und im Markt testet? Ein Prozess, bei dem aktiv geprüft wird, welche Patente abgeleitet werden können und welche gebraucht werden (z.B. für „Patent Fencing“)?
  • Wettbewerberanalyse: Beobachtet Ihr Patentveröffentlichungen von Wettbewerbern? Könntest Du mir für Deinen Bereich die fünf Wettbewerberpatente nennen, die Euch am meisten im Weg stehen? Analysiert Ihr systematisch, wie diese Patente aufgebaut sind, wo sie ihre Schwachstellen haben und gegebenenfalls umgangen werden können? Beobachtet Ihr, wer Eure Patente verletzt? Betreibt Ihr dafür „Reverse Engineering“ von Wettbewerberprodukten – vielleicht auch, um zu erkennen, wo sie, trickreich und völlig legal, Eure Patente umgehen konnten? Wie setzt Ihr im Fall der Fälle Eure Rechte durch? Gibt es Zahlen dazu, welche Produkte, Märkte, Wettbewerber besonders „anfällig“ sind und Eurer besonderen Beobachtung bedürfen?
  • Geheimhaltungsvereinbarungen und Vertraulichkeitsvereinbarungen: Wie nutzt Ihr bei der Zusammenarbeit mit Partnern, Lieferanten, Forschungseinrichtungen und auch Mitarbeitern Geheimhaltungsvereinbarungen, um sicherzustellen, dass vertrauliche Informationen geschützt bleiben? Wie schult Ihr Mitarbeiter zu diesen Themen? Im Bereich der Arbeitssicherheit gibt es meldepflichtige Vorfälle und Beinaheunfälle. Gibt es solche Zahlen und die dahinter liegenden Prozesse und Verantwortlichkeiten auch zu Geheimhaltungsthemen?
  • Datenschutz und IT-Sicherheit: Memorysticks sind schon lange abgeschaltet – auch bei Euch, richtig? Die zunehmende Digitalisierung stellt aber gerade bei den Themen intellektuelles Eigentum und Geschäftsgeheimnisse neue Herausforderungen. Können Eure Mitarbeiter ChatGPT nutzen? Nein? – Schade! – Oh, doch, das tun sie? Wie sorgt Ihr dann dafür, dass hier nicht ein gewaltiges Datenleck entsteht? Und das ist nur ein Beispiel unter vielen…
  • Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen, Universitäten und anderen Einrichtungen: Welche Themen bearbeitet Ihr selbst? Für welche braucht und habt Ihr Kooperationen? Wie trefft Ihr klare Vereinbarungen über Nutzung und Schutz von Ergebnissen? Gibt es zu diesem Vorgehen ein „Strategiepapier“ und Entscheidungsgrundlagen?
  • Technologietransfer und Lizenzierung: Wie setzt Ihr Euer eigenes Patentportfolio nutzbringend ein? Welche Lizenzen gebt Ihr heraus – welche nehmt Ihr? Wer hat ein Auge darauf, dass so ein möglichst großer Nutzen erzeugt wird (und wie groß war dieser Nutzen im letzten Jahr)?

Diese Liste ist das Ergebnis aus Gesprächen der letzten Wochen. In der Regel gibt es zu jedem Thema „etwas“: „Natürlich haben wir etwas“ oder – „Ja, die F&Eler machen da was mit der Uni Stuttgart“. Es scheint jedoch an einem durchgestochenem Vorgehen zu fehlen, das sich abteilungs- und begreifsübergreifend aus unternehmerischen Zielen ableitet und entsprechend nachgehalten wird. Die gute Botschaft ist jedoch: Dein Unternehmen hat viele Hebel selbst in der Hand. Ihr könnt morgen anfangen.

Was macht die Regierung?

Diesen Ruf kenne ich aus Frankreich: „Que fait le gouvernement!?“ – um die Preissteigerung, die Arbeitslosenzahlen, die Lieferkettenengpässe – und überhaupt jedes größere Problem in den Griff zu kriegen. Franzosen nehmen sich mit dieser Frage gern selbst auf die Schippe.

Auch uns sind diese Fragen und die daraus entstandenen Programme der Industriepolitik durchaus vertraut: z.B. Rürupp/Riester-Sparen, Abwrackprämie, Coronahilfen, Industriestrompreis.

Wir wollen uns also auch anschauen, welchen Anteil ihres Bruttosozialprodukts Länder in Forschung und Entwicklung stecken. Die Weltbank trägt dazu Daten zusammen (GB.XPD.RSDV.GD.ZS), die wir uns mit den oben erstellten Algorithmen bequem anschauen können, und zwar zunächst als „Film“ …

… und dann als statische Graphik für ausgewählte Jahre:

Deutschland (DEU) spielt oben mit und hat im Jahr 1996 etwas über 2% des Bruttosozialprodukts für Forschung und Entwicklung eingesetzt. Bis zum Jahr 2000 ist diese Zahl auf immerhin 3% angestiegen. Das sind gewaltigen Summen: im Jahr 2022 hat Deutschland ein Bruttosozialprodukt von 3,88 Billionen Euro erwirtschaftet. Drei Prozent davon entsprechen 116 Milliarden Euro, immerhin 1400 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Solche gewaltigen Summen dürfen nicht „mit der Gießkanne“ verteilt werden. Es müssen vielmehr klare Ziele definiert und abgestimmt, Programme aufgelegt und bewertet, es muss schlicht gute Arbeit geleistet werden.

Wir sehen auch:

Israel steht fast über den gesamten Zeitraum an der Spitze.

Auch Korea spielt ganz vorne mit und auch mit Schweden, Belgien, den USA, Japan und Österreich könnten wir uns vermutlich dazu austauschen, wie staatliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung am besten gelenkt und eingesetzt werden können.

Vielleicht gibt es auch Möglichkeiten für Dein Unternehmen, sich mit anderen zusammenzusetzen, und darüber zu sprechen, was gut funktioniert, was besser gemacht werden kann und wie?

Es geht hier nicht um irgendeine Aufgabe. Es geht darum, das Unternehmen „wetterfest“ zu machen in Zeiten großer Umbrüche und dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft wettbewerbsfähig ist. Intellektuelles Eigentum spielt dabei eine entscheidende Rolle.