Immer wieder finden sich prominente Stimmen, die z. B. (es folgen externe Links) Brainstorming im Team für eine Zeitverschwendung, Lean Six Sigma oder auch Design Thinking für tot erklären. Die Liste ließe sich sicher verlängern.
Es sei dahingestellt, dass manche dieser Cassandra-Rufer in ihre Totenklage für die eine Methode gleich ihre eigene als neue Lösung anpreisen. Man muss diese Signale ernst nehmen und fragen: Woher kommt das? Was ist dran an der Sache?
Zunächst sollten wir uns jedoch wundern.
Brainstorming im Team eine Zeitverschwendung – wie bitte?
Neulich hat doch noch ein zumindest hierzulande bekanntes Team die Fußball-WM gewonnen, obwohl andere Mannschaften viel bessere Spieler hatten. Teambasiertes Fußballspielen eine Zeitverschwendung? Das klingt absurd. Und teambasierte Kreativität? Alex Osborn (externer Link) hat in den 1950ern „cubicle-based“ Brainstorming in teambasiertes überführt. Nicht zuletzt ist deshalb der Flaschenhals unternehmerischer Kreativität längst nicht mehr ein entrückter Alleinentscheider…
Design Thinking – RIP?
Ja wart ihr überhaupt schon einmal dabei? Wisst ihr, wie das geht? Es ist geradezu wunderbar, was Sie mit der richtigen Moderation und dem richtigen Team alles erreichen können.
Und Lean Six Sigma friedlich entschlafen? Ehrlich?
Was glauben Sie eigentlich, wie hunderte von Profis ihre Verbesserungsprojekte angehen? Die Methode soll sich erledigt haben? – Also bitteschön!
Wenn ich Ihr Konkurrent wäre und Sie diese und andere Methoden für tot erklärten, dann würde ich mich natürlich freuen. Ich hätte nämlich einen großen strategischen Vorteil. Nun bin ich aber nicht Ihr Konkurrent und deshalb frage ich mich: woher kommen all diese Totengesänge?
Schauen wir einmal näher hin.
Ein großer Einzelhändler hat Sorge, das Internetzeitalter doch nicht so richtig mitgekriegt zu haben. Die Webseite läuft schlecht. Wir setzen mit Design-Thinking Methoden (und mit meiner privaten Kreditkarte) die Leute vor den Rechner, damit sie aus Sicht einer „Persona“ (externer Link) auf ihrer eigener und auf Webseiten der Wettbewerber einen gewissen Warenkorb einkaufen. Das Ergebnis zwei Tage später? Totale Überraschung. Völlig neue Erkenntnisse. Aufbruchsstimmung.
Ein Strategietreffen. Diesmal ohne Beamer & Powerpoint. Jeder hat ein Poster vorbereitet – oft mit erstaunlich viel Liebe. Die Wände sind nach wenigen Minuten und noch vor Beginn der Veranstaltung voll. Ein erstes „Wow!“ macht die Runde. Wir gehen durcheinander und reichen Themenzettel weiter, markieren Punkte darauf… Es würde zu weit gehen, hier das Vorgehen zu erklären. Effekt? Ein „kreativer Schock“. Eine neue Art, miteinander zu diskutieren. „Zum ersten Mal kommt etwas dabei heraus“, sagt einer.
Ein Logistikunternehmen. Keiner hat bisher das Problem der unverwogenen Sendungen gelöst. Die Leute werden für eine Greenbelt-Schulung und auch für das Projekt freigestellt: „das ist wichtig, was ihr hier tut“. Sie führen den Kaizen auch selbst durch. Vom Coaching merken nur das Team und vor allem der Projektleiter etwas. Ergebnis? „Ein Wunder – es klappt!“ Der Standortleiter meldet sich ab sofort mit „Kaizen-City“ am Telefon. Betriebsrat begeistert – von Lean…
„Warum nicht immer so“, fragen sich Unternehmen völlig richtig. Und so wird dann jemand beauftragt, dieses oft improvisierte Vorgehen „in die Unternehmens-DNA einzuweben“, mit Formularen zu versehen und mit allem, was dazugehört, sodass die Leute es richtig machen und dass es in Zukunft professioneller geht und aussieht. Ich habe selbst auch bei solchen Einführungen geholfen. „Insourcing capabilities“ nennt man das auf Neudeutsch. Jede Beratung, die auf dem entsprechenden Gebiet etwas auf sich hält, hat eine bewährte Roadmap dafür.
Wissen Sie, woran mich das inzwischen erinnert? Mexiko wurde über 71 Jahre hinweg von der „Partei der institutionalisierten Revolution“ (externer Link) regiert. Erst im Jahr 2000 gewann der Herausforderer und Coca-Cola Manager Vincente Fox (externer Link) die Präsidentschaft. Das Motto im Jahr 1929? „Revolution? – Klingt gut, sollten wir institutionalisieren!“
Das mag sich in Mexiko über all die Zeit hinweg bewährt haben. Auch Brainstorming, Lean Six Sigma, Design Thinking, Innovationsmanagement (letzterer Begriff ist für viele übrigens ein Oxymoron) und andere Methoden haben in vielen Unternehmen durchaus Wurzeln geschlagen und sind vermutlich auch noch eine Weile dort.
Es ist allerdings schwer, das Urgeheimnis all dieser Methoden, nämlich den Überraschungseffekt, dieses Gefühl, bei etwas Neuem und Spannendem dabei zu sein und genau diese professionelle Improvation zu „institutionalisieren“.
Und so wird viel zu häufig aus einer strahlenden Abteilung für OPEX oder einem „Business Transformation Office“ zunächst ein verstaubter Elfenbeinturm, aus dem bald die Mitarbeiter abwandern und der schließlich abgeschafft wird: „funktioniert nicht“.
Heißt das, dass Unternehmen diese Methoden nicht brauchen? Ganz im Gegenteil!
Sie müssen allerdings einer Realität ins Auge blicken und vor allem lernen, richtig damit umzugehen: gerade bahnbrechende Methoden lassen sich nicht „domestizieren“ und in eine „corporate“-Zwangsjacke stecken. Denn genau das funktioniert nämlich tatsächlich nicht.