Der Starnberger See ist im Laufe der letzten 10 Jahre um ca. 0.3°-0.4°C wärmer geworden

Die „Python Challenge“

In meinem letzten Beitrag habe ich Temperaturdaten des Starnberger Sees untersucht und mit einer recht hemdsärmeligen Methode tatsächlich eine Erwärmung über den Betrachtungszeitraum gefunden. Allerdings habe ich für diese Untersuchung jeweils nur den Höchst- und den Tiefstwert eines jeden Jahres verwendet und so aus dem reichen Schatz der Daten mit mehr als 133000 Messwerten von über 5500 Tagen nur einen verschwindend kleinen Teil der Information genutzt. Wenn Du Dich mit Daten beschäftigst, dann würde auch Dich das gewaltig wurmen.

Deshalb möchte ich heute nachlegen. Dafür habe ich ein wenig „knobeln“ müssen und einige Methoden der Darstellung ausprobiert. Und ich war froh, dass mir dazu die Analysesprache R zur Verfügung steht. Da ich mich derzeit auch in Python einarbeite und ich, zumindest was die graphische Darstellung angeht, noch nicht so ganz zufrieden bin (was auch an meinen noch begrenzten Fähigkeiten liegen mag), möchte ich gerne eine „Python Challenge“ aussprechen:

Kannst Du, kann irgend jemand mit vernünftigem Aufwand die folgenden Graphiken in Python nachbauen? Meinetwegen können wir auch Excel, Minitab, SPSS & Co mit einschließen. Ich glaube aber, diese Werkzeuge scheiden schon an der Startlinie aus. Schreib‘ mich gerne an, wenn es Dir gelingt!

Der Vergleich zu Vorgängerjahren

Die Schwierigkeit der Analyse besteht darin, dass die Temperatur des Sees jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt: Im Winter ist das Wasser kalt und im Sommer warm. Es gibt zudem sowohl kalte als auch warme Sommer und Winter. Und auch die Erwärmung im Frühling oder die Abkühlung im Herbst könnte früher oder später einsetzen. Wie also macht man eine Veränderung, so es sie denn gibt, sichtbar?

Eine erste Idee besteht darin, den jeweiligen Tag des Jahres zu nehmen. Der erste Januar ist Tag 1 und der 31. Dezember ist Tag 365. Wir könnten dann Tag für Tag die Mittelwerte der vergangenen 5 oder auch 10 Jahre berechnen und diesen Mittelwert mit dem im Folgejahr gemessenen Wert vergleichen.

Das habe ich ausprobiert. Da aber eben die Erwärmungs- und Abkühlungsphasen mal früher und mal später einsetzen, führt das zu einer höheren Variation dieser Mittelwerte und damit der Referenzwerte.

Deshalb habe ich das Zeitfenster des Vergleichs variabel gemacht. Sagen wir, ich möchte wissen, ob der See am Tag 109 dieses Jahres (am heutigen 18. April) im Vergleich zu den Vorgängerjahren eher wärmer oder eher kälter war. In meinem Code kann ich jetzt einstellen, dass ich einstellbar zum Beispiel 5 oder 10 Jahre zurückschauen möchte. Ich kann auch einstellen, dass ich für den Vergleichszeitraum aus jedem dieser Jahre ein Zeitfenster von plus und minus beispielsweise 14 Tagen auswählen möchte. Über all diese Tage berechne ich dann den mittleren Wert (Median) und die typische Variation (Standardabweichung). Da die Messbehörde an manchen Tagen besonders „fleißig“ war und häufiger als sonst die Wassertemperatur gemessen hat, habe ich vorher den Mittelwert all dieser Tageswerte gebildet, um nicht bestimmte Tage bevorzugt zu berücksichtigen, nur weil an ihnen häufiger gemessen wurde.

Um zu beurteilen, ob der heutige Wert stark von der Vergangenheit abweicht, vergleiche ich den Unterschied zwischen historischem Median und heutigem Messwert mit der Standardabweichung dieser historischen Vergleichswerte: Liegt der Unterschied zwischen plus/minus einer Standardabweichung, dann sage ich: alles gut, das kommt vor. Eine Abweichung um eine, zwei, drei oder mehr Standardabweichungen nach oben oder nach unten zeigt hingegen eine immer stärkere Auffälligkeit an. In der folgenden Graphik stelle ich das bildlich dar. Die Farbbänder geben dabei die Bänder von einer, zwei und drei Standardabweichungen in beide Richtungen an: warme Farben für Abweichungen nach oben und kalte für Abweichungen nach unten.

Zugegeben: das ist eine nicht ganz leicht verdauliche Graphik. Du kannst sie wie folgt lesen. Wenn eine Abkühlungsphase wie im Herbst 2022 vor allem rötlich gefärbt ist, dann hat sich der See in dem Jahr später als früher abgekühlt. Für die Sommermonate dominiert über alle Jahre hinweg die rote Farbe: die Sommer sind wärmer geworden. Auch die Tiefpunkte im Winter sind – mit Ausnahme des Winters 2019 – vor allem durch wärmere Temperaturen geprägt.

Interessant sind auch Phasen, an denen die Temperaturpunkte zwischen rötlichen („wärmer als in den 10 vorherigen Jahren“) und bläulichen („kälter als vorher“) Farbtönen springen. Das siehst Du zum Beispiel für den Winter 2022/2023. Ich halte das nicht für Fehler oder Ungenauigkeiten in den Daten. Wer einmal im Starnberger See weiter herausgeschwommen ist, der weiß, dass es recht kräftige Strömungen gibt. Ich nehme also an, dass wir hier den Effekt von sich – aufgrund von Wind und Wetter – ändernden kalten und warmen Strömungen sehen. Diese Effekte werden bei der Mittelwertbildung „herausgemittelt“, sind aber bei den Tagesdaten durchaus vorhanden.

Die folgende Graphik zeigt aus der vorherigen Graphik den Ausschnitt seit Beginn dieses Jahres:

Sehr deutlich erkennbar liegen die Temperaturen deutlich über denen der Vorgängerjahre – und es ist kein Wunder, dass mein Freund Christian am letzten Wochenende bei behaglichen 12°C die Badesaison eröffnet hat. Diese Temperaturen liegen in dem orange dargestellten Band von zwei bis drei Standardabweichungen über dem mittleren Wert der Vorgängerjahre.

Um wie viel ist der See nun „wirklich“ wärmer geworden?

Das ist tatsächlich eine kniffelige Frage und ich habe einige Zeit gebraucht, um eine mir sinnvoll erscheinende Methode der Bewertung zu finden. Wenn Du die obere erste Graphik betrachtest, dann siehst Du, dass die Temperaturwerte mal nach oben (rot) und mal nach unten (blau) abweichen. Du kannst nun sagen: „Ja klar, das kommt natürlich vor. ‚Im Schnitt‘ gleicht sich das aber aus“.

Wenn dem so wäre, dass sich das „im Schnitt ausgleicht“, dann sollten sich die Abweichungen nach oben und nach unten die Waage halten. Für die folgende Diskussion möchte ich Dir einen konkreten Blick auf die Daten geben:

Du siehst hier das Datum, die „aktuelle Temperatur“ (gemittelt über alle verfügbaren Messwerte) an dem jeweiligen Tag, den historischen Median, die historische Standardabweichung und wie viele Tagesmittelwerte der Berechnung von Median und Standardabweichung zugrunde gelegen haben. In der Spalte CumDT („kumuliertes Delta der Temperatur“) rechne ich zunächst den Unterschied der Werte in Spalte 2 und 3 aus: das ist die jeweilige Temperaturabweichung. Für den 2. Februar beträgt sie 0.8333 Grad. Diese Abweichung addiere ich zu dem Temperaturunterschied des 3. Februar hinzu und erhalte dann 0.9417 Grad – und so weiter. Wenn sich diese Abweichungen nach oben und nach unten die Waage halten würden, dann würde diese Summe über die gesamte Tabelle hinweg berechnet klein bleiben. In der Spalte DTChange dividiere ich diese Summe noch durch den laufenden Index, also die Anzahl der Werte, die ich in CumDT bis zur entsprechenden Zeile aufsummiert habe. Am Ende des Betrachtungszeitraum steht so die „Nettoabweichung“ von aktueller zur historischen Vergleichstemperatur.

Dieses „Nettoabweichung“ lässt sich über den Betrachtungszeitraum hinweg auch graphisch darstellen:

Zu Beginn steigen die Werte zunächst an: eine „Wärmephase“, dann fallen sie wieder ab, eine „Kältephase“. Je mehr Werte hinzukommen, desto weniger spielen solche Wärme- und Kältephasen jedoch eine Rolle, weil sie sich tatsächlich über den Betrachtungszeitraum hinweg „wegmitteln“. Allerdings schwingt sich die Kurve nicht um die Null-Linie (hellblau) herum ein. Sie liegt vielmehr durchgehend oberhalb und damit im Bereich der Erwärmung.

Ich verwende dann den Zeitraum seit dem Beginn des Jahres 2020, um diese Erwärmung abzuschätzen und berechne für diesen Zeitraum Mittelwert und Standardabweichung von DTChange. In der Graphik angezeigt ist der Bereich von plus/minus drei Standardabweichungen. So kommen wir zu der Aussage:

In den letzten 10 Jahren hat sich der Starnberger See um ca. 0.3-0.4°C erwärmt.

Das mag nicht nach viel erscheinen und andere mögen beurteilen, welche Auswirkungen es hat. Aber es ist signifikant.

Der Werkzeugkoffer steht nun bereit: lasst uns Umweltdaten aufbereiten!

Ich glaube, dass es nun losgehen kann: vielleicht finden sich beim Ammersee oder irgend einem anderen See Auffälligkeiten der Temperatur? Oder Auffälligkeiten beim Wasserstand von Flüssen? Es liegen zu sehr vielen bayrischen Gewässern Daten vor und sind veröffentlicht. Sie müssen „nur noch“ analysiert werden.

Wenn Du bei einer Versicherung arbeitest oder in Gewässernähe bauen möchtest, dann könnte das durchaus interessant sein. Aber vielleicht interessierst Du Dich auch „einfach nur so“ für den Fluss in Deiner Nähe und möchtest wissen, wie ungewöhnlich Temperatur oder Wasserstand heute im Vergleich zur Vergangenheit sind. Dann kannst Du diese Werkzeuge verwenden.

Melde Dich gerne, wenn Du Dich dafür interessierst!

Werden unsere Seen wärmer?

Neulich war ich wieder einmal in Starnberg zu Besuch bei meinen Freunden Renate und Christian. Für mich sind sie Vorbilder eines umweltbewussten Lebensstils. Letztlich geht es auch auf sie und eine Diskussion mit unserer Tochter, dazumal noch bei Fridays for Future, zurück, dass ich seit Anfang 2020 innerhalb von Europa nicht mehr beruflich geflogen bin. Von Hamburg nach Brno, Lausanne, München oder Paris fahre ich seither und bis heute konsequent mit dem Zug.

Renate und Christian habe ich auch von meinen Untersuchungen zum Wasserstand im Panamakanal erzählt. So kamen wir auch auf den Starnberger See zu sprechen. Sehen wir auch hier den Einfluss des Klimawandels?

Ein Dank an die Obrigkeit!

Als Landschaftsarchitekt kennt Christian eine Datenquelle: den Gewässerkundlichen Dienst Bayern. Wenn Du Dich für Wasserstand und -temperatur von Gewässern interessierst, dann stellt diese Webseite eine wahre Fundgrube dar.

Zugegeben: Du kannst die Daten nicht einfach per Skript von einer URL einlesen, wie das für die CO2-Daten des Mauna Loa Observatoriums möglich ist. Die Daten kommen auch in mehreren Tabellen daher, die man miteinander verbinden muss. Aber wenn Du die Anfrage stellst, dann hast Du innerhalb weniger Minuten den Download-Link.

Und es ist eine wahre Freude, diesem „geschenkten Gaul“ ins Maul zu schauen: Seit dem Jahr 2008 liegen zum Starnberger See Messdaten in hoher Granularität vor, oft mit mehreren Messwerten pro Tag.

Ein Lob an dieser Stelle auf unsere öffentliche Verwaltung, die Qualität ihrer Arbeit und die Transparenz!

Der Starnberger See wird immer wärmer!

Um die Daten graphisch darzustellen, ziehe ich eine Zufallsstichprobe der Größe 10.000 aus den über 130.000 Messwerten:

Das geschulte Auge erkennt, dass der Sommer 2015 besonders warm war: die Kurve geht da besonders weit nach oben.

Schauen wir uns zunächst den Jahresverlauf an:

Zugegeben: das Ergebnis sieht recht wild aus. Um dem Auge zu helfen, habe ich deshalb die Farbpalette so gewählt, dass die frühen Jahre einer kalten und die späteren einer immer wärmeren Farbe zugeordnet werden. Wir erkennen am unteren Rand der Temperaturkurven eher kalte und am oberen Rand eher warme Farben:

Wird der See immer wärmer?

Um dieser Frage nachzugehen, ziehe ich aus allen Daten Jahr für Jahr den Datensatz mit der jeweils höchsten und der niedrigsten gemessenen Temperatur heraus und stelle diese wie folgt graphisch dar:

Dank der Hilfe der Ausgleichsgeraden durch diese Temperaturwerte erkennt man tatsächlich einen Anstieg. Ein statistisches Regressionsmodell zeigt, dass dieser Anstieg bei einem P-Wert von 2,4% auch tatsächlich signifikant ist. Aus der so ermittelten Steigung dieser beiden Geraden können wir schließen:

Über den betrachteten Zeitraum wurde der Starnberger See im Laufe von 12,5 Jahren um ein Grad wärmer.

Die Analyse von Umweltdaten muss „demokratisiert“ werden

Ob diese Ergebnisse mit dem Klimawandel zusammenhängen?
Das mögen andere beurteilen.

Wichtig erscheint, dass diese wertvollen Daten aufbereitet und untersucht werden sollten. Für freischaffende Blogger wie mich wäre das angesichts des Reichtums allein der Daten, die vom Gewässerkundlichen Dienst Bayern bereitgestellt werden, eine Mammutaufgabe. Nun könnte man dort studentische Hilfskräfte einstellen und so diese und ähnliche Untersuchungen (zum Beispiel zu den gemessenen Wasserständen oder der Temperaturentwicklung anderer Gewässer) anstellen.

Solch ein Herangehen erscheint aber erstens aufwendig. Denn es gibt Daten zu einer großen Anzahl von Gewässern. Zweitens und viel ärgerlicher noch: schon kurze Zeit nach diesen Untersuchungen käme bestimmt die Frage auf: „Wie sieht es eigentlich jetzt aus?“ – Und die Analysen müssten wiederholt werden.

„Statische“ Analysen – so wie hier – sind nicht geeignet. Es braucht „dynamische“ Werkzeuge mit Zugriff auf tagesaktuelle Daten.

Wird dieser Weg ein leichter sein?

Deshalb gibt es meiner Ansicht nach nur einen Weg:

  1. Die Daten müssen in einem maschinenlesbaren und möglichst über die verschiedenen Gewässer hinweg standardisierten Format direkt online abrufbar sein: So wie die CO2-Daten des Mauna Loa Observatoriums auf Hawaii.
  2. Auf Grundlage dieser Daten wird in einem „open source“ Projekt eine App erstellt – ähnlich meiner eigenen „Umwelt-App“ (eine Art „funktionaler Prototypen“ für das, was wir bauen könnten) – mit der jedermann und jedefrau die Daten selbst erkunden kann.

Denn so können alle, die sich für Temperatur oder Wasserstand eines Gewässers, oder für andere Umweltdaten interessieren, die Daten selbst erkunden und Entwicklungen und außergewöhnliche Ereignisse identifizieren, diskutieren und melden.

Weil Umweltdaten von öffentlichem Belang sind, müssen sie nicht nur frei verfügbar sein. Wir müssen auch die Möglichkeit demokratisieren, diese Daten zu erkunden.

Technisch erscheint das wahrlich kein Hexenwerk. Ich werde in den nächsten Wochen einmal auf den Gewässerkundlichen Dienst zugehen.

Wenn Du in der einen oder anderen Form mitmachen kannst oder möchtest – und sei es, weil Du jemand bei diesem oder einem anderen Dienst kennst, oder weil Du diesem Anliegen bei Entscheidungsträgern Gehör verschaffen kannst, dann melde Dich gerne!

Meiner Ansicht nach geht es um Folgendes:

  • Beim Gewässerkundlichen Dienst bewirken, dass die Datenverfügbarkeit standardiesiert und vereinfacht wird
  • Eine App bauen (bisher nutze ich R, Python ist ebenfalls denkbar), die erlaubt, die Erkundung dieser Daten zu „demokratisieren„.
  • Workshops abhalten, in denen Menschen ausprobieren können, was sie anhand der Daten über die Gewässer erfahren können, für die sie sich interessieren.

Wenn das nach einem „Just-do-it-Projekt“ für Dich klingt, dann auf und los!