Über einen der häufigsten Fehler der Strategie-Umsetzung: machen Sie sich ausreichend Gedanken über die Metriken, mit denen Sie Ihre Programme steuern und über die Daten, die diesen zugrunde liegen?
Regel Nr 1: halte dir den Rücken frei
Die Aufgabe, eine neue Strategie für Sharon’s Fabrik in San Diego aufzusetzen, hat es in sich. Anfangs glaubte Sharon noch, man könne sie rausdrängen wollen: warum sonst hätte ihre ranggleiche Chefin ihr kurz zuvor diesen „Deputy“ in merkwürdiger Konstellation unterstellt? Alle berichten an ihn und er berichtet an Sharon. Im Rahmen dessen, was wir hier planen, können wir aus dieser Not jedoch einen einzigartigen Vorteil machen: Es geht um „Transformation“ und die Erwartungen von „Corporate“ direkt an Sharon und vorbei an ihrer Chefin sind genauso vage wie hoch.
Der Reifenwechsel, wenn man so will, soll bei voller Fahrt und bei laufendem
Tagesgeschäft vollzogen werden. Also übernimmt der „Deputy“ das Tagesgeschäft und
die „kontinuierliche Verbesserung“. Sharon verantwortet „nur“ die Erstellung,
Planung und Umsetzung der neuen Strategie, braucht dafür alle Hände frei und selbstredend auch ihre angestammte Verfügungsgewalt über die Ressourcen der Fabrik. Damit ware die Politik zunächst einmal wenn nicht vom Tisch so doch zumindest in „unschädliche Bahnen“ gelenkt.
In einem ersten Workshop haben wir Sharon‘s Vision herausgearbeitet, für die sie – und auch nur sie – stehen kann. Diese Vision wird umgesetzt sein, bevor Sharon in Rente geht. Sie wird auch ihren Nachfolger noch einarbeiten können. Wir haben die Gerade durch den bisherigen Karrierepfad des „Deputy“ einmal in die Zukunft
extrapoliert: wenn er sich hier nicht die Zähne ausbeißt, dann müsste er zu dem
Zeitpunkt schon auf dem nächsthöheren Posten sitzen…
Der Maßnahmenkatalog
Jetzt sind wir dafür mit umso mehr Bodenhaftung und den entsprechenden Reibungsverlusten unterwegs. Wir haben die Vision mittels Hoshin-Planung in „bahnbrechende Ziele“ und „Jahresziele“ übersetzt und daraus, hier in Auszügen, Maßnahmen für 2014 abgeleitet:
– Verbessere die Vorhersagegüte der größten Produktfamilien
– Verkürze die Lieferzeiten der wichtigsten Lieferanten
– Reduziere den Anteil der angelieferten aber nicht eingelagerten Materialien
– Reduziere die manuelle Handhabung von Materialien
– Erhöhe die Teilnahme von Mitarbeitern an Sicherheitsveranstaltungen.
Die Logik der Hoshin-Planung verlangt nun nicht nur, dass jeder dieser Maßnahmen eindeutigen Verantwortlichkeiten zuzuordnen, sondern dass auch festzulegen ist, wie deren Fortschritt kontrolliert und gesteuert wird, ganz nach dem Motto „you can only manage what you measure“.
Jetzt um acht Uhr abends und beide auch mit Jetlag in den Knochen würden wir nur zu gerne sagen: sollen das die Verantwortlichen doch selbst ausarbeiten. Aber so etwas hat sich nur zu oft als Bumerang erwiesen: wenn wir keine klaren Vorstellungen haben, dann kommt das Thema mit Mehraufwand und meist auch Zeitdruck wieder zu uns zurück. Also kommen wir nicht umhin, uns diesen Schuh selbst anzuziehen und zumindest Vorschläge und Erwartungshaltungen zu formulieren.
Denke in Prozessen
Ein Ansatz, der mir immer wieder hilft, ist es, Maßnahmen als Prozessthemen zu begreifen: was ist jeweils die „flow unit“, die „Flusseinheit“ also? In der Automobilfertigung wäre das zum Beispiel das Bodenblech, das man über
die gesamte Prozesskette hinweg verfolgen kann, im Krankenhaus der Patient. In
diesem Sinne erstellen wir folgende Übersicht:
# |
Thema |
Flusseinheit („flow unit“) |
Was zu messen ist |
1 |
Bessere Vorhersagegüte |
Das Dokument der monatlichen, im Rahmen des „Closing“ Prozesses
erstellten, Vorhersage |
Unterschied zwischen Vorhersage und tatsächlich nachgefragtem
Auftragsvolumen |
2 |
Schnellere Lieferzeiten |
Auftragsnummer |
Zeitliche Differenz zwischen Auftragsversand und Material-empfang |
3 |
Geringerer Anteil angelieferter und nicht eingelagerter Materialien |
Versandbox |
Zeitliche Differenz zwischen Warenannahme und Einbuchung im Lager |
4 |
Weniger Handhabungen von Materialien |
Jegliche Art von Material zwischen Warenannahme und Produktauslieferung |
Zeitliche Differenz zwischen „Anfassen“ und „Loslassen“ durch einen
Menschen |
5 |
Erhöhte Teilnahme an Sicherheitsveranstaltungen |
Mitarbeiter |
Zeitliche Differenz zwischen „Start“ und „Ende“ einer solchen
Veranstaltung. |
Thema 1 führt direkt zu einem vorhanden Methodensatz für die Bewertung von „Forecasts“. Erster Aktionspunkt: vergangene Vorhersagen dürfen ab
jetzt nicht mehr überschrieben sondern müssen aufbewahrt werden: Sharon ist bei
der Durchsicht des (externer Link) zugrunde liegenden Artikels ein Licht aufgegangen: ihre Organisation wertet bisher Vorhersagen nicht aus und überschreibt sie statt dessen. Ab morgen soll das anders laufen.
Thema 2 führt zu der in einem (externer Link) Webinar und einem (externer Link)Artikel niedergelegten „time-in, time-out“ Thematik. Unsere Erwartungshaltung an die Methodik der Auswertung ist somit ebenfalls klargestellt.
Thema 3 klang zunächst nach einem „Defekt-Thema“: angeliefertes und nicht eingelagertes Material erscheint in dieser Sicht „defekt“. Regelmäßige „Audits“ gälte es nun durchzuführen, „defekte“ und andere Materialien zu zählen – ein Heidenaufwand. Wir betrachten deshalb das Thema als Zeitproblem: wann wurde Material angeliefert und wann wurde es eingelagert? Wieder „time-in, time-out“ also. Sharon freut das: da sowohl Warenempfang als auch -einlagerung per Barcodescan an SAP übertragen werden, müssten diese Daten abruf- und damit auswertbar sein: Auftrag an die IT, den
Projekteigner hier bei dem Aufbau eines Messsystems zu unterstützen.
Thema 4 klingt nach Sisyphus-Arbeit: wer kann schon alle Handhabungen in einer Fertigung erfassen? Natürlich könnten wir die Prozessabläufe per ISO-Dokumentation durchgehen und Handhabungen zählen und mit dem jeweiligen Fertigungsvolumen multiplizieren. In diesen Dokumenten ist jedoch der Soll-Ablauf abgelegt. Probleme bereitet hingegen das „Ist“ der manuellen Arbeit: können wir uns darauf verlassen, dass Soll und Ist zumindest halbwegs zusammenhängen? Wenn Dinge nicht messbar sind, dann haben wir noch nicht verstanden was wir wollen, so unsere positivistische Grundhaltung. Also müssen wir morgen mit den Verantwortlichen noch einmal in die Bütt und das Thema nachschärfen. Was ist das Problem? Wirklich das viele „Anfassen und Loslassen“? Geht es nicht vielmehr um die Fehler, die dadurch entstehen? Oder gefallen uns einfach die Personalkosten nicht? Wir wissen es nicht. Morgen mehr.
Bei Thema 5 dachte ich bisher, dass Sharon das nächste Audit im Blick hätte: die Schande des letzten beseitigen. Ich hatte mir vorgestellt, es gäbe eine Anzahl von Veranstaltungen und es gälte, jeden Mitarbeiter einer oder mehreren Veranstaltungen zuzuordnen und die Erledigung zu überwachen. „Far from it“, belehrt mich Sharon. Es handelt sich hier vielmehr um ein aus vielen „Mini-Kaizens“ bestehendes Programm für Sicherheitsthemen. Die zugrunde liegende Annahme: wer Sicherheit schafft, der ist auch allgemein für Arbeitssicherheit sensibilisiert. Jeder Mitarbeiter soll deshalb pro Monat an einer gewissen Mindestanzahl dieser Veranstaltungen teilnehmen und sich dabei mit einer Mindestzahl von Arbeitsstunden einbringen.
Übersetzung in Datenerfassung
Wir sind „in Schwung“. Das Abendessen wird schon abgetragen und neben uns liegen einige beschriebene Bögen Papier. Wir wollen „schnell noch“ skizzieren, wie wir uns die Rohdaten für diese Metriken vorstellen.
Thema 1: bessere Vorhersagegüte
Abgabedatum der Vorhersage |
Vorhergesagter Monat |
Vorhergesagtes Volumen |
Tatsächliches Volumen |
Unterschied |
z.B. März 2014 |
z.B. Juli 2014 |
z.B.: „Im Juli werden wir 250k ausliefern“ |
Lass uns Ende Juni schauen |
Vorhersage minus tatsächliches Volumen |
… |
… |
… |
… |
… |
Ich brauche eine Weile, um Sharon von dieser Y = f(x) Logik zu überzeugen: in der letzten Spalte steht das Ergebnis Y, das uns interessiert: dieser Unterschied soll ja möglichst klein sein. Alle anderen Spalten sind mögliche Einflussgrößen x. Excel- und
Minitab-Profis können solchen Datenkolonnen sehr schnell klare Aussagen
entlocken.
Thema 2: schnellere Lieferzeiten
Auftragsnummer |
Datum Auftragsvergabe |
Datum Anlieferung der Materialien |
Unterschied |
z.B. ID123456 |
z.B. 3. 2. 2014 |
z.B. 6. 2. 2014 |
3 Tage |
… |
… |
… |
… |
Thema 3: wir haben dieses Thema inzwischen umbenannt in „schnelle Einlagerung“ – denn darum geht’s. Die Tabelle sieht genauso aus wie bei Thema 2. Und Thema 4 wollen wir morgen besprechen.
Thema 5: Teilnahme an Sicherheitsveranstaltungen
Wir stellen fest: wir brauchen einen zentralen Katalog dieser Veranstaltungen. Dort haben die jeweiligen Teamleiter die tatsächlichen Teilnehmer zu hinterlegen. Um Vorgesetzten monatlich einen Auszug ihrer Abteilung schicken zu können, muss diese Datenbank folgende Struktur haben:
Veranstaltung |
Datum |
Uhrzeit der Veranstaltung |
Teamleiter |
Teilnehmer |
Dauer der Veranstaltung |
Ausweisung Sicherheitszone um Spritzgussanlage |
3. 2. 2014 |
14:00 |
Jorge |
Carol |
3 Stunden |
idem |
3. 2. 2014 |
14:00 |
Jorge |
Thomas |
3 Stunden |
idem |
3. 2. 2014 |
14:00 |
Jorge |
Gabriella |
3 Stunden |
… |
… |
|
… |
… |
… |
Klingt banal – ist aber kriegsentscheidend
Auf die Gefahr hin, naseweis zu klingen: diese Übersetzungsarbeit von Projekten in Metriken und dann in Datenerfassungspläne ist unabdingbar – und einer der häufigsten Fehler, die mir im Zusammenhang der Strategieplanung begegnen. An dieser Stelle fängt eine gut entworfene Strategie an, den langsamen Wärmetod einer miserablen „hat-halt-doch-nicht-geklappt“ Umsetzung zu sterben. Und dies bei voller Verantwortung der Führungskräfte übrigens…
Wenn alles gut geht, sehr gut übrigens, dann ist diese Arbeit einfach.
Banal ist sie nicht.
Nie.